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Kalkar – Leben im Risiko – vom Schnellen Brüter zum zentralen Militärstandort
(PDF Versionen des Beitrags finden sich am Ende dieses Textes).
Das Städtchen am Unterrhein wurde bundesweit bekannt, als in den 1970er Jahren in seiner Nähe mit dem Bau des „Schneller Brüter“-Atomkraftwerks begonnen wurde. Denn in den folgenden Jahren protestierten Zehntausende dagegen. Das AKW war ein „Gemeinschaftsprojekt von Deutschland, Belgien sowie den Niederlanden und wurde 1985 fertiggestellt, ging jedoch nie in Betrieb. Wegen sicherheitstechnischer und politischer Bedenken wurde das Projekt 1991 eingestellt.“ (Wikipedia)
Seit 2012 demonstrieren erneut hunderte, manchmal tausende Menschen Jahr für Jahr in Kalkar.
Was ist der Grund?
(Link zur Zusammenfassung der Rede 2014 – Link zur gesammten Rede 2014).
2012 ging man zum Thema „Warfare in the 21th Century“ - Kriegsführung im 21. Jahrhundert – von diesem Gedanken aus: die seit dem Ende des kalten Krieges 1990 andauernde Annahme, dass es keinen bedeutenden Krieg (major war) in Europa mehr geben werde, diese Annahme sei anzuzweifeln. Das JAPCC nahm ganz im Gegenteil an, dass es „in nächster Zeit“ zu einem großen Krieg kommen wird.
Angesichts der Erweiterung der NATO um zwölf Staaten in Mittel- und Osteuropa ging man davon aus, dass Russland einer Erweiterung um die Ukraine oder Georgien nicht tatenlos zusieht. Die Furcht Russlands war durch NATO Manöver 2008 in der Ukraine ebenso geschürt, wie durch den Versuch, ukrainische Streitkräfte in die KFOR im Kosovo einzubinden.
Nachdem die Lage in der Ukraine 2014 in einen Bürgerkrieg eskaliert worden war, sagte sich die Bevölkerung der Krim in einem als völkerrechtswidrig angesehenen Referendum von der Ukraine los und beantragte die Aufnahme in die Russische Föderation.
Das kommentierte der Chef der „Münchner Sicherheitskonferenz“ Ischinger damit, Russland habe „durch sein Vorgehen eine feindschaftliche Atmosphäre in die EU und die europäische Gesamtpolitik zurückgebracht.“ Dagegen müsse man sich zur Wehr setzen.
Beim NATO Treffen 2014 in Wales wurde folgerichtig beschlossen, „flexible Response“ Kräfte der Luftwaffe in die östlichen Mitgliedsländer zu verlegen, als Zeichen „gegen den Aggressionstrieb des russischen Bären“.
Die Leitzentrale für diese Einsätze ist das JAPCC in Kalkar.
Das ist desaströs in Zeiten weltweiter Krisen, die eine vorbehaltlose internationale Zusammenarbeit erfordern.
Ginge es nach den Vorstellungen der Militärstrategen, würde die Militarisierung von Politik so weitergehen. In den Ausführungen klingt das oft harmlos und logisch. In der Konsequenz aber führt uns die in diesem Denken vorherrschende Logik in eine hochgefährliche Eskalationsspirale.
Abschließend sei zur Verdeutlichung ausführlich aus der Einleitung des Moderators der diesjährigen Konferenz – Bruce Hargrave – zitiert.
Am ersten Tag der JAPCC-Konferenz im vergangenen Jahr hörten wir, dass die NATO in den mehr als siebzig Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und mehr als dreißig Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges eine 'zwingende Funktion' finden musste, um die nationalen Regierungen zur Einsicht zu bewegen, dass die Bedrohungen unserer demokratischen Lebensweise nicht verschwunden waren. Einer der Hauptredner drückte seine (und die aller anderen) aufrichtige Hoffnung aus, dass es nicht ein weiterer Krieg sein würde, der diese 'Zwangsfunktion' erfüllt. Leider erweist sich der Krieg auf dem europäischen Kontinent einmal mehr als starke Motivation für Regierungen, robuste Maßnahmen zur Abschreckung und Verteidigung zu ergreifen.
Einzelne Nato-Staaten sowie die EU und die UNO müssen mehr oder weniger damit beginnen, den Ukrainern die Hilfe zu leisten, die sie so dringend benötigen. In unserem Umgang mit und unserer Wahrnehmung Russlands vor der Invasion der Ukraine haben sich jedoch viele von uns, einschließlich vieler unserer politischen Führer, als – bestenfalls – naiv entlarvt. Im schlimmsten Fall könnten manche sogar sagen, als Mittäter.
Es ist außerordentlich zeitgemäß, dass die JAPCC-Konferenz plant, einige unserer klügsten Köpfe und hochrangigen Entscheidungsträger zusammenzubringen, um darüber nachzudenken, wie die NATO ihre Luft- und Raumfahrtmacht in diesem Zeitalter des globalen Wettbewerbs stärken könnte. Zusammen mit unseren Hauptrednern werden die vier Konferenzpanels die breitere geopolitische Situation und die Auswirkungen, die dies auf unsere Sicherheit hat, erörtern. Die Referenten und Podiumsteilnehmer werden analysieren, welche Konsequenzen dieses neue Umfeld für Abschreckung und Verteidigung mit sich bringt und was dies für die Verteidigungs- und Einsatzplanung sowie für die agile, domänenübergreifende Führung sowohl aus verteidigungstechnischer als auch aus industrieller Sicht bedeutet.
Das traditionelle DIME-Modell – diplomatisch, informativ, militärisch und wirtschaftlich – erinnert uns daran, dass militärische Macht nicht getrennt von den anderen Machtinstrumenten steht. Wir müssen nur an Europas Abhängigkeit von russischen Öl- und Gaslieferungen denken, um die Komplexität der Fehlkalkulationen zu erkennen, die Putins Entscheidung, in die Ukraine einzumarschieren, ermutigt haben könnten. Dabei dürfen die umfassenden Anforderungen an Verteidigung und Sicherheit nicht außer Acht gelassen werden. Wenn die Abschreckung fehlschlägt, wird die effektive Verteidigung des NATO-Territoriums von unseren Streitkräften, ihrer effektiven Führung und Kontrolle sowie von umfassender Widerstandsfähigkeit in den Bereichen Weltraum und Cyber abhängen. Darüber hinaus ist sich die NATO bewusst, dass eine umfassende Resilienz auch die Sicherstellung der Verfügbarkeit lebenswichtiger staatlicher und wirtschaftlicher Funktionen und die fortgesetzte Nutzung des UMS umfassen muss.
Die einführenden Artikel für die Konferenz, sind das Ergebnis eines 'Call for Papers', der kurz nach der letztjährigen Konferenz veröffentlicht wurde. Nicht alle beziehen sich direkt auf Joint Air and Space Power. Sie sind jedoch alle relevant für eine Diskussion über das künftige Sicherheitsumfeld und seine Folgen für die Haltung der NATO, die Einsatzbereitschaft und die Rolle der Luft- und Raumfahrtmacht in diesem Umfeld. Sie erläutern den für diese Konferenz gewählten Begriff des 'globalen Wettbewerbs' und gehen auf die Prinzipien des Großmachtwettbewerbs ein. Des weiteren analysieren sie die Verbindungen und gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Weltraum und Cyberspace-Domänen, verweisen auf einige interessante Ähnlichkeiten zwischen Schwellenwerten in diesen Domänen und schlagen vor, wie die Abschreckung im Weltraum durch eine reaktionsfähige Weltraumarchitektur sichergestellt werden könnte.
Künstliche Intelligenz (KI) und die Gefahren, sie als Allheilmittel zur Überwindung der Informations und Datenflut zu sehen, wurde bereits auf der Konferenz 2021 angesprochen. Einer unserer Artikel wird daher eine Perspektive auf „menschlich verbesserte“ KI bieten, um das Verständnis zu ermög-lichen und Entscheidungsvorteile zu erzielen. Ein anderer Autor macht uns darauf aufmerksam, dass wir mit Adversarial Machine Learning rechnen müssen und gibt eine sehr gut begründete Warnung ab. Die Verwaltung von Einsatzdaten in einer „Combat Cloud“ kann effektive Unterstützung in Szenarien bieten, in denen Kräfte und Fähigkeiten domänenübergreifend operieren. Als Reaktion auf die besonderen Herausforderungen, denen wir in und durch diesen Bereich begeg-nen, muss dringend über die Suche nach Grundsätzen für die sichere gemeinsame Nutzung von Cyberwaffen und -fähigkeiten nachgedacht werden.
Der Erfolg der JAPCC-Konferenz 2021 war zu einem nicht geringen Teil auf die Beharrlichkeit aller Teilnehmer unter schwierigen Umständen zurückzuführen. Wir leben in schwierigen Zeiten, aber die Bemühungen aller, zusammenzukommen um Handlungsoptionen für die Zukunft zu diskutieren, zu analysieren und zu formulieren, werden dafür sorgen, dass die Konferenz 2022 ebenso lohnend wird.